22. Mai 2015

37 / Spatzenorchester – süß-sauer – Geräuschentwicklung – Milcheimer - virtuos


Der Volkspark Friedrichshain ist sicherer als vorhersage wann der Sommer da ist als jedes Barometer oder Wetterapp. Beim hindurch fahren fielen mir heute die vielen Decken und Leute auf denselben auf, die einfach nur herumsaßen, quatschten, Bier tranken und es sich gut gehen ließen. Die Jogger waren nur spärlich zu sehen und ich war der einzige Typ auf einem Fahrrad weit und breit. Das alles und das Spatzenorchester um mich herum zeigten überdeutlich - Berlin hat offiziell den Sommer begrüßt. Das ist etwas, das mehr ist als nur ein paar Picknicke im Park und ein Feierabendbier unterm freien Himmel, es hat etwas mit Langsamkeit zu tun. Alle sind einen Schritt langsamer unterwegs, alle haben plötzlich vergessen, dass man in Berlin lebt und es da gefälligst zur Pflicht eines jeden Berliners gehört immer von A nach B zu hetzen und unterwegs so vielen Leuten wie möglich auf den Sack zu gehen. Mit einem mal wird man angelächelt wenn man mit dem Fahrrad durch den Park fährt, Jogger weichen grüßend aus oder halten mit verträumtem Blick auf der Stelle joggend an, um einen vorbei zu lassen. Jeder hat plötzlich Zeit, Berlin ist plötzlich menschlich.


Ich aß in meinem neuen Lieblingsimbiss - dem Gilgamesch. Der bietet mehrere Köstlichkeiten im Brot an, wobei man wahlweise entscheiden kann ob man nur eine oder bis zu vier verschiedene Zutaten im Brot eingeschlagen haben will. Ich entschied mich für Haloumi und Humus, weil ich beides gern esse und die Kombination, gekrönt von einer leicht säuerlichen Sesamsoße, echt der Knaller ist. Dazu packen sie oben immer eine leicht scharfe Peperoni mit rein, sozusagen als Bonbon auf dem Kissen. Schlichte Perfektion.

Draußen direkt an der Greifswalder Straße sitzend sah ich lächelnden Fußgängern zu wie sie lächelnden Fahrradfahren auswichen und genoss das Wetter. Jedes mal wenn ein Fußgänger durch einen streifen Sonnenlicht kam stockte kurz das Gespräch, wenn Sonne auf Haut traf. Sogar die Autos waren irgendwie ruhig unterwegs, ich konnte direkt an der Straße sitzend ohne Stress essen und die Musik genießen. Das Gilgamesch hat immer orientalisch angehauchte Musik laufen, die aber nie ins schnödes Gekreische entgleist, sondern immer gleichmäßig vor sich hinklimpert. Dazu ein rhythmischer Beat und man hat Musik, die sowohl exotisch als auch angenehm ist. Das habe ich in Berlin an anderen Imbissständen schon deutlich schlimmer erlebt. Die sich schon dem Horizont nähernde Sonne im Nacken, mit leicht smoggetrübtem Blick auf den Fernsehturm und Haloumi zwischen den Zähnen lies es sich gut aushalten. Überhaupt ist das etwas, dass ich an meiner Ecke vom Prenzlberg liebe - fast von überall kann man den Fernsehturm sehen. Ich wünschte fast Horst wäre dabei gewesen und wir hätten beide zusammen schweigend essen können.

Horst hatte mich überhaupt erst auf das Gilgamesch gebracht. Der Laden hatte noch vor einem Jahr einen anderen Namen und wahrscheinlich auch Besitzer gehabt. Das hat sich vor nicht allzu langer Zeit geändert und Horsts Nase hatte im vorbeigehen einen Besuch empfohlen. Dasselbe hatte ich in Tokio erlebt, wo er uns am ersten morgen zielsicher in ein Kaffee geführt hatte, das auch europäische Geschmäcker bediente. An das überall gebrüllte "Ohayou Gozaimasu" oder "Konichiwa" hatten wir uns schnell gewöhnt, aber das Essen in Japan war doch etwas für sich. Nichts mit Ente süß-sauer oder ähnlichem verkitschten Schrott. Und viele doch für Horst und meinen europäischen Magen gewöhnungsbedürftig. Deswegen war ich sehr froh Horst und seine Nase dabei zu haben. Das besagte Kaffee bot als europäisches Frühstück einen riesigen Becher Kaffee, zwei Scheiben Toast mit Spiegelei und grobkörnigem Salz obendrauf an. Das Salz war so grob, dass es zwischen den Zähnen nur so knackte. Beim ersten Mal noch verunsichert ob der Geräuschentwicklung in meinem Mund wurde das schnell zum Frühstücksplatz meiner Wahl. Bequeme Sessel, schnelle Bedienung, Spiegelei mit hart gebratenem Eigelb und obendrein entspannte Mitfrühstücker. Die Einrichtung erinnerte ein bisschen an Starbucks, nur ohne die Wichtigtuer mit ihren Laptops, die gerade ihr nächstes Drehbuch schreiben mussten oder den Selfie Mädels, die jede ein Riesenstück Torte bestellen und dann nur einen Happen davon essen. In Japan ist da anders. Telefonate in der U-Bahn wurden diskret geführt, mit dem Hand über dem Mund und dem Handy wurde leise gemurmelt. Es gab extra Sitze für Schwangere, die wenn keine Schwangere da war frei gehalten wurden. Mein Highlight war eine etwa sechzigjährige Kellnerin bei MOS Burger, einer Hamburgerkette deren Name man in Europa sicherlich noch nie gehört hatte, die uns auf japanisch ansprach, die entstehende Verwirrung und unser nichtjapanisches Äußeres in einen Zusammenhang stellte und sofort in gut verständliches Englisch wechselte.

Doch das besondere an Japan waren nicht die beeindruckenden alten Tempel in Kyoto, die überall existierenden alten Schreine in Tokio, um die herum gebaut wurde oder die Wolkenkratzer, die ganze Straßenzüge zu Schluchten aus Glas und Metall werden lassen. Das besondere für mich waren die Kleinigkeiten, die mich überraschten und entzückten. Ein Beispiel war ein Curryrestaurant, in dem es ausschließlich Currygerichte gab. Jedes Gericht, egal ob mit Schweine-, Rind- oder Hühnerfleisch, Fisch oder ohne tierische Eiweißen gab es in zehn Schärfegraden. Ich wagte mich mutig an Grad zwei heran, Horst tat es mir nach und verbrannte sich böse den Rachen. Mir schmeckte es, richtig gutes rotes scharfes Curry mit gebackenem Fisch. Horst aß dann nur noch Grad eins, der mir, nachdem ich einmal Blut geleckt hatte zu schwach war. Bis zum Schärfegrad sieben konnte man jedes Gericht einfach bestellen, doch wollte man acht und mehr haben musste man sich erst beweisen. Grad acht musste dreimal bestellt und verzerrt werden, das wurde in einem kleinen Heftchen festgehalten, ehe man den nächsten Grad bestellen konnte. Der wiederum musste dann ebenfalls dreimal gegessen werden und so weiter bis Schärfegrad zehn. Man bekam also zehn Mahlzeiten und erst die zehnte war dann mit Schärfegrad zehn. Ich konnte mir beim besten Willen keinen Menschen vorstellen, der Grad zehn essen geschweige denn genießen konnte, hatte ich doch dank Horst schon ein Gefühl für das Schärfegefälle zwischen Grad eins und zwei. Bei Grad drei hätte ich sicher schon weinend unterm Tisch gekauert mit meinen Kopf in einem Eimer Milch. Verblüffend war auch die Menge an Essen die die Menschen dort zu sich nehmen konnten. In dem besagten Curryrestaurant erlebten wir einmal einen Geschäftsmann, kaum größer als ich und sicher nicht schwerere als 70 Kilogramm, der ohne mit der Wimper zu zucken einen Riesenteller mit Hähnchenteilen, Wurst und gebackenem Fisch bestellte und in weniger als zehn Minuten wegputzte. Auf dem Tablett neben dem Teller lag sein Heftchen, das vier Stempel zeigte. Als er ging war sein Kopf zwar rot, aber er sah auch seltsam zufrieden aus, fast heiter.

Aber die Sache über die Horst und ich in Tokio am meisten gestaunt hatten waren zwei peruanischen Panflötenspieler direkt an der S-Bahn Station Roppongi. Die hatten da das ganze Programm laufen – Verstärker, selbstgestrickte Häckelpullover und diese komischen Mützen auf dem Kopf. Der eine blies hingebungsvoll und zugegebenermaßen virtuos in sein Blasinstrument, der andere verteilte Flyer und versuchte CDs zu verkaufen. Dabei war er wenig erfolgreich, ähnlich wie hier werden auch in Japan Straßenmusiker beziehungsweise -verkäufer ignoriert. Warum solle es am anderen Ende der Welt auch anders sein?

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