Meine erste Reaktion war mich auf der Stelle umzudrehen und wieder ins Klo zu gehen.
„Bleib
hier. Ich will doch nur reden.“ sagte Ciev.
Ich
ging einen Schritt auf sie zu, doch sie zuckte nicht einmal zusammen.
„Warum
zur Hölle sollte ich mit dir reden wollen?“
„Du
willst nicht aber du hast keine Wahl.“ antwortete sie.
„Keine
Wahl? Blödsinn.“
Ich
setzte mich in Bewegung Richtung Innen Raum, doch sie trat mir in den
Weg.
„Geh
mir aus dem Weg.“
„Sonst
was?“ fragte sie und ihre oh so grünen Augen funkelten mich an.
„Du
wirst schon sehen was sonst...“
Sie
seufzte und sah zu Boden, ging aber nicht beiseite.
Ich
packte sie an der Schulter und versuchte sie wegzuschieben, aber sie
rückte nicht weg.
„Okay,
folgendes. Ich will mit dir reden und wir werden reden.“
„Nein
werden wir nicht.“ Ich drückte fester, doch sie rührte sich
nicht.
„Hör
mir zu.“
Ich
drückte fester.
„Hör
mir verdammt nochmal zu!“ Sie nahm meine Hand und drückte sie
beiseite.
„Das
ist der achtunddreißigste Versuch mit dir zu reden, okay? Ich
verliere allfällig die Geduld, aber ich habe alle Zeit der Welt um
dich zum reden zu bringen, also lass den Quatsch und lass uns reden
verflucht.“
Ich
wich zurück.
„Was
soll das bedeuten achtunddreißigster Versuch?
„Echt
jetzt? Muss ich es dir erklären?“
Ich
sah sie groß an.
„Okay,
ich habe eine Zeitmaschine. Jedes mal wenn du mir ausgewichen bist
bin ich ein paar Minuten zurückgereist und habe einen neuen Versuch
gestartet. Egal was du machst um mir zu entkommen – ich kann es
korrigieren und glaub mir – wir werden reden, ob du willst oder
nicht.“
Ich
konnte in ihrem Gesicht sehen, dass sie es ernst meinte und gab auf.
„Okay,
du hast zehn Minuten. Wo?“
„Lass
uns rausgehen.“
Ich
hatte immer noch keine Lust, mein Schädel dröhnte und mein
Gleichgewicht war immer noch eingeschränkt, aber wie sie schon
gesagt hatte – welch Wahl hatte ich?
„Gut,
lass uns rausgehen.“ Ich dreht mich Richtung Ausgang und musste
mich an der Wand abstützen.
Mir
war nach noch einem Bier. Oder besser einem Kaffee.
„Kaffee?“
fragte Ciev und hielt mir einen Becher hin. Ich nahm ihn wortlos,
konnte mir ja denken warum sie so plötzlich einen Kaffee hatte und
ging nach draußen.
Sie
folgte mir.
Als
ich unter dem wütenden Geschimpfte der Spatzen auf den frühen
Morgen meinen Hausflur betrat, entschied ich spontan mal nach Horst
zu sehen. Mir war nach Gesellschaft, aber nach leiser Gesellschaft.
Horst
war schon wach und schaute mich fragend an, als ich über den Hof
schlurfte und mich wortlos neben ihn setzte. Man kann es an den Ohren
sehen, wenn er verwirrt ist. Dann zucken und drehen sich seine Ohren
wie verrückt.
Wir
saßen eine Weile einfach nebeneinander, ich genoss die frische Luft,
das Spatzenkonzert und die leichte Wärme die Horst ausstrahlte. Dazu
noch das leise Quietschen der Tram an der Ecke Prenzlauer und
Danziger Straße, Autohupen und irgendwo aus der Ferne die Sirene
einen Rettungswagens oder Polizeiautos. Berlin wachte gerade auf und
diese Kulisse gab mir die Möglichkeit wieder Boden unter die Füße
zu bekommen. Es war echt, Horst war echt, mein Innenhof voller
rostiger Fahrräder war echt. Das brauchte ich jetzt. Irgendwie war
der Abend aus den Fugen geraten und ich noch dabei die Einzelteile
aufzusammeln.
Aus
dem Augenwinkel konnte ich Horst sehen und wie sich seine Ohren
drehten und zuckten.
"Horst?"
fragte ich schließlich.
Er
brummte nur.
"Ich
hab heute Ciev wiedergetroffen."
Horst
sagte eine Weile nichts, was ich falsch interpretierte.
"Wen?"
Ich
drehte mich zu ihm um.
"Ciev."
Horst
zeigte Zähne.
"Sorry,
hab keine Ahnung."
Ich
seufzte.
"Das
Mädchen mit den grünen Augen."
Horst
sah mich immer noch groß an.
"Die
Invasion? Der Anschlag? Diese dämliche 'Versteckte Kamera'-Show?
Hast du das alles vergessen?"
"Nee
natürlich nicht aber Ciev..."
Horst
schnalzte mit den Lippen.
"Die
mit dem Hula Hoop Reifen."
"Ach
klar, Ciev! Cool!"
Ich
rieb mir die Stirn.
"Nein
Horst, nicht cool. Man, die hat mich doch komplett verarscht gehabt,
hast du das nicht geschnallt?"
"Was?
Ach ja, stimmt. Uh, unschön. Wo denn?"
"Was,
wo denn?"
"Wo
hast du sie wiedergetroffen?"
"Ach
so. Im Duncker."
"Und?"
"Und
was?"
Horst
schnaubte.
"Muss
man dir jedes Wort einzeln aus den Nase ziehen? Wie war es? Hab ihr
geredet? Hat sie sich entschuldigt?"
Ich
nickte, schüttelte den Kopf, nickte nochmal.
"Eigentlich
schon. Glaube ich jedenfalls. Ich weiß nicht."
Wir
hatten beide draußen Platz genommen. Der Pavillon war fast leer, so
dass wir ziemlich ungestört waren. Der Kaffee war heiß und süß
genauso, wie ich ihn mochte. Was mich aus einem unbestimmten Grund
nur noch wütender auf sie machte.
"Na
dann mal los." sagte ich recht unfreundlich.
Sie
blickte zu Boden, zupfte an ihrem Shirt herum und schien nach Worten
zu suchen.
In
der aufkommenden Dämmerung konnte ich sie gut sehen und hatte das
erste Mal die Gelegenheit sie wirklich in Ruhe anschauen zu können.
Ihr Gesicht ist fast rund und ihre Augen stehen ein klein wenig zu
nahe beieinander. Das gibt ihren einen Ausdruck als ob sie andauernd
über irgendwas nachgrübeln würde. Die Haare hatte sie hinter die
Ohren gestrichen. Einer der ersten Sonnenstrahlen des Tages verfing
sich in ihren Haaren und lies sie leuchten.
Trotz
allem was passiert war, war sie noch immer das schönste Mädchen das
ich in meinem Leben gesehen habe. Und das machte das Ganze umso
schwerer.
Sie
atmete tief ein und richtete sich auf.
"Es
tut mir sehr leid was passiert ist."
Sie
schloss ihren Mund wieder und sah mich an. Sah mich einfach nur mit
diesen wunderschönen grünen Augen an, in die ich nur zu gern
versunken wäre. Aber das konnte ich nicht.
"Das
ist es? Das ist alles? Es tut dir leid?"
Ich
starrte sie an, versuchte sie mit Blicken dazu zu bringen noch mehr
zu sagen. Ich wollte, dass sie sich unwohl fühlt, wollte dass ihr
dieses Gespräch genauso unangenehm war wie mir. Aber sie blieb
ruhig, erwiderte meinen Blick und rührte keinen Muskel.
Schließlich
war ich es, der die Geduld verlor.
"Das
ist doch gequirlte Scheiße!" rief ich und hieb mit der flachen
Hand auf den Tisch zwischen uns. Der stand nicht wirklich stabil auf
drei Beinen und machte einen Satz, der den Aschenbecher darauf in
Bewegung setzte. Ich streckte die Hand aus, um ihn mir zu schnappen
und in dem Moment beugte sich Ciev vor und griff meinen Arm und zog
mich halb zu sich heran.
Klappernd
fiel der Aschenbecher zu Boden und ehe ich wusste was los war küsste
sie mich.
Als
ihre Lippen meine berührten löste sich alles auf. Ich war überall,
ich war hier. Mein Körper zerfloss in einem warmen Fluss aus Licht
in alle Richtungen gleichzeitig. Lächelnde Dunkelheit hieß mich
willkommen. Meine nichtexistenten Füße spürten liebkosendes Grass,
das unter ihnen hindurchglitt. Ich war alles, ich war nur bei ihr.
"Sie
hat dich geküsst?" fragte Horst.
Ich
nickte langsam, konnte es selber noch nicht richtig fassen.
"Und
du hast das einfach so hingenommen?"
"Ja,
nein, naja. Es ist kompliziert."
"Was
ist denn daran kompliziert? Gerade eben hasst du sie noch und
plötzlich steckt ihre Zunge in deinem Hals."
Ich
warf Horst einen bösen Blick zu.
"So
einfach ist das nicht gewesen!" zischte ich ihn an.
"Okay,
okay." Ich konnte förmlich sehen wie er metaphorisch die Hände
hob.
"Ich
halte mich für einen rationalen Menschen, Horst. Ich weiß, dass
Liebe nur einen chemische Reaktion ist, ausgelöst durch Pheromone
und Botenstoffen, die einzig und allein den Zweck haben uns zur
Fortpflanzung zu animieren. Glückshormon, die eine Partnerschaft
schaffen sollen, damit eventuelle Nachkommen geschützt sind. Das
weiß ich hier."
Ich
pochte mir gegen den Kopf.
"Aber
das war etwas anderes. Das war etwas, dass sich nicht in meinem Kopf
abspielte."
Wir
hingen beide schweigend unseren Gedanken nach. Ich konnte noch immer
ihre Lippen schmecken.
"Also
geht's um Fortpflanzung, richtig?"
"Nein,
Horst, es geht nicht um Fortpflanzung verdammt!"
Wieder
schwiegen wir eine Weile.
"Also
hast du nicht...?"
Ich
sah ihn fragend an, wohl wissend was er wollte.
"Du
weißt schon..."
Wir
sahen uns an.
Horst
machte ein schnalzendes Geräusch.
"Ich
weiß, was du meinst Horst. Nein haben wir nicht. Gottverdammt!"
Horst
bleckte seine Zähne.
Ein
paar Minuten später hatte ich mich wieder etwas beruhigt.
"Horst?"
"Japp."
"Warum
hat sie das wohl gemacht?"
"Der
Kuss? Keine Ahnung."
"Nein,
diese Show, diese dämliche Sendung.
"Ehrlich?"
Ich
sah ihn an.
"Na
klar ehrlich."
Horst
seufzte.
"Weil
ihr Menschen euch gern verarschen lasst."
"Was?"
"Ja,
ihr lasst euch gern verarschen. Oder besser gesagt, ihr lasst euch
leicht verarschen."
"Was
soll denn das heißen?"
"Okay.
Ihr Menschen, und damit meine ich jeden einzelnen von euch, glaubt
dass er zu etwas großem geschaffen wurde. Jeder. Ihr alle hofft,
dass eines Tages jemand auf euch zukommt und sagt: 'Dich, genau dich
haben wir gesucht. Du bist der Auserwählte!'. Und deswegen kann man
euch leicht verarschen. Man muss das nur ausnutzen."
"Das
ist doch Blödsinn!"
"Sicher?
Dann erklär' mir mal bitte die ganzen Castingsendungen, in der die
untalentiertesten Menschen die man sich vorstellen kann sich für
'endlaser' halten."
"End-was?"
"Endlaser.
Sollte wohl geil bedeuten."
"Na
gut, da sind also ein paar Leute, die sich von ihrer Eigenwahrnehmung
befreit haben und in solchen Sendungen durchdrehen, aber das beweist
gar nichts."
"Tut
es nicht? Ihr Menschen wollt immer mehr sein als einfach nur Mensch.
Nur eine Arbeit, nur eine Frau, nur ein Bier - es ist nie genug. Ihr
wollt schneller, größer, weiter. Wir sehen das anders. Ich meine
sieh mich an: Ich bin ein sprechendes Pferd. Aber trotzdem eben nur
ein Pferd. Und das ist okay so. Ich will gar nicht mehr. Ich will
nicht zum Mond fliegen oder zur Gottheit eines einsamen Inselstammes
erklärt werden."
"Gottheit?"
"Als
Beispiel. Aber wir weichen vom Thema ab. Castingshow. Jeder von denen
hält sich für etwas besonderes, für den einen auf den alle
gewartet haben - für den Auserwählten. Und das mit der fehlenden
Eigenwahrnehmung ist bei euch Menschen auch nicht so selten."
"Wowowo,
Horst jetzt mal langsam! Was soll dass denn jetzt schon wieder
heißen?"
"Erinnerst
du dich noch an unser Gespräch über die dominante Spezies?"
"Klar."
"Ich
hab nochmal darüber nachgedacht. Wer hat eigentlich entschieden,
dass ihr die dominante Spezies auf dem Planeten sein sollt?"
"Sind."
"Hmmm?"
"Die
dominante Spezies sind."
"Jaja,
was auch immer. Also wer hat das entschieden? Gab es einen
Wettbewerb?"
"Nein
natürlich nicht. Das ist wissenschaftlich belegt, Himmel Herrgott
nochmal!"
"Von
welchen Wissenschaftlern? Menschen?"
"Na
klar Menschen."
"Ha!
Voreingenommen!"
"Jetzt
mach mal n Punkt Horst! Das ist doch Schwachsinn!"
"Weißt
du was ich glaube? Ihr Menschen haltet euch für die dominante
Spezies, weil ihr über allem anderen zu stehen glaubt. Aber alles
was ihr mit den angeblich unterlegenen Spezies tut ist sie fressen
oder ficken."
"Horst!"
"Ist
doch wahr! Ihr Menschen fresst Kühe, Schweine, Hunde, Katzen,
Insekten, Schlangen, Krokodil und sogar Pferde. Aber nur wenn ihr
nicht gerade versucht eines zu ficken."
"Woher
willst du denn das wissen?"
"Wir
reden miteinander. Und glaub mir, da bekommst du Sachen zu hören..."
"Okay,
mir reicht's. Ich geh ins Bett. Tierporno zum frühen Morgen vertrage
ich nicht."
Ich
stand auf und ging zur Haustür.
„Und
was ist jetzt mit Ciev?“ rief mir Horst hinterher.
„Was
soll mit ihr sein?“
„Na
hast du jetzt eine Freundin, oder was? Passiert da noch mehr? Seht
ihr euch nochmal.“
„Ich
hab keine Ahnung Horst.“
Ich
überlegte kurz.
„Schätze
schon.“
Horst
grinste wieder sein unanständig gelbes Grinsen.
Ich
drehte mich seufzend um.
"Nacht
Horst."
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