Ich
finde diese riesigen Kopfhörer die jetzt mehr und mehr in der
Öffentlichkeit getragen werden einfach affig. Aus akustischer Sicht
machen sie überhaupt keinen Sinn, außer man will seine Umgebung
beschallen und erhofft sich dadurch vielleicht etwas Anerkennung ob
der Musik die man hört und unhandlich sind sie außerdem. Schon mal
versucht so einen Kopfhörer in die Jackentasche zu stopfen?
Jedenfalls
hatte ich meine kleinen schwarzen Stöpsel im Ohr und konnte dadurch
die Jungs und Mädels zwischen 14-15 Jahren, die sich ein halbes
Wagenabteil vor mir auf zwei Vierersitzen verteilt hatten zu gut
hören. Im Nachhinein wären riesige Geräuschdämmende Kopfhörer
doch keine schlechte Idee gewesen. So mußte Machine Head mit dem
Gekreische und Gejohle wetteifern. Die Achterbande sah nach einer
Mischung aus Skaterkids und Prinzessinnen aus, keiner alt genug für
Schamhaare aber alle alt genug für Pornographie und
Beziehungsprobleme. Wenn man der Sensationspresse in Bezug auf die
heutige Jugend glauben konnte. Meine Hand fand das Handy in meiner
Tasche, den darauf befindlichen Lautstärkeregler und ansteigende
Gitarrenriffs spülten das Kindergeschrei davon.
Vorerst.
Ich
war auf dem Weg zum Hauptbahnhof, hatte eine dicke Tasche dabei und
wollte nach Lübeck. Hatte dort was geschäftliches zu tun. Während
ich noch nach dem ausklingen von Halo nach dem nächsten Ohrenschmaus
suchte näherte sich eines der Kinder aus dem Reigen und hielt sein
Handy ans Ohr gepresst. Der Gesichtsausdruck hatte sich irgendwo
zwischen Angst und Trotz eingependelt, genug, um meine Neugier zu
wecken. Ich schaltete die Musik aus.
„Ich
kann da nichts für Mama. Der behinderte Bademeister hat voll den
Schatten. Ich bin die Rutsche nur einmal rückwärts runter. “
Interessante
Gesprächsentwicklung. Unvorhergesehen.
„Nein,
ich hab gar nichts gemacht. Der Hurensohn hat kein Leben, ich
schwör's dir. Der wollte mich nur ficken“
Er
lauschte, verdrehte die Augen und hob die Stimme.
„Nein
Mama, vergiss es. Der Spasti hat mir drei Wochen gegeben.“
Wieder
wurde zugehört.
„Bis
zum Ende der Ferien! Ich bin am Arsch.“
Ich
versuchte noch zusammenzureimen worum es genau ging.
„Kannst
du nicht mit ihm reden Mama? Die können mich doch nicht einfach so
sperren, wegen so einem Scheiß.“
Während
er weiter lauschte rutschte sein Kopf immer tiefer zwischen die
Schultern. Eine blecherne Stimme drang aus dem Handy. Sie klang nicht
erfreut.
„Okay
Mama. Ja Mama. Ja Mama. JA MAMA! Bin in 20 Minuten zuhause.“
Er
legte auf, ballte die Faust um sein Handy und hieb einmal ziellos in
die Luft.
„Alles
Spastis!“ zischte er und ging zu seinen Freunden zurück.
Am
Hauptbahnhof angekommen revidierte ich meine Schätzung, dass ich
noch 20 Minuten Zeit bis zur Abfahrt hatte und korrigierte sie auf
eineinhalb Stunden rauf.
Mein
Zug fuhr um 19:24 Uhr.
Besser
gesagt er sollte um 19:24 Uhr fahren, fiel aber leider aus.
Der
nächste war für 20:16 geplant.
Also
ging ich runter auf Gleis 8, setzte mich in eine Ecke, packte Stulle
und Buch aus und versuchte die nächsten eineinhalb Stunden irgendwie
rumzubringen. Mit der Nase im Buch konnte ich die mich umspülenden
Menschen ganz gut ignorieren, nur wenige stachen aus der Masse
heraus.
Da
war die Frau am gegenüberliegenden Gleis, deren Zug 5 Minuten
Verspätung hatte und die deswegen wie ein ungeduldiges Kind immer
wieder auf die Uhr sah, aufstampfte, scharf durch die Zähne
ausatmete, auf den Griff ihres Rollkoffers schlug und dabei
ununterbrochen vor sich hin fluchte. Nicht das das ganze in
irgendeiner Weise die Einfahrt beschleunigte oder so.
Oder
der Mann, der eine halbe Stunde lang durchgehend telefonierte und
dabei immer dieselben zehn Meter Wegstrecke vor mir auf- und
abschritt.
Oder
die typische Berliner Familie – er groß, muskelbepackt, tätowiert,
glatzköpfig und in Camp David gekleidet, sie übergewichtig, mit
mehrfarbiger Kurzhaarfrisur in Leggins und Glitzertop, der Sohn mit
steinerner Miene auf sein Handy starrend und die Mutter mit lauter,
kratziger Stimme, die die Gruppe aller zehn Minuten Richtung
Raucherquadrat verließ.
Im
Zug erfuhr ich dann auch, dass mein geplanter Umstieg hinfällig war,
ich stattdessen über Hamburg fahren sollte. Gut, es gibt schlimmeres
als über Hamburg zu fahren.
Die
Köllnerin vor mir zum Beispiel, die ihre Handtasche im knallvollen
Zug neben sich auf den Fenstersitz gepackt hatte, auf die Anfrage
„Ist da noch frei?“ eines älteren Herren mit einem charmanten
„Wenn's sein muss.“ reagierte, ihre Tasche hob und sich aus dem
Sitz manövrierte. Als er anbot auch am Gang sitzen zu können
erwiderte sie nur „Jetzt machen sie mal keine Hektik!“ in einem
Tonfall, der die Leute im Umkreis von drei Sitzreihen zusammenzucken
lies. Herzallerliebst.
In
Hamburg, es war inzwischen kurz vor 22 Uhr, hoffte ich auf den
versprochenen Anschlusszug, der aber kein Interesse hatte zu warten.
Wurde so jedenfalls im einfahrenden Zug durchgesagt. Der nächste
würde dann kurz nach 23 Uhr fahren.
So
weit, so beschissen.
Wie
erwartet war dann auch das Gleis 8, von dem aus der Zug Richtung
Lübeck starten sollte, verlassen. Niedergeschlagen richtete ich
meine Schritte zur Anzeigetafel, stellte dort mit Schrecken fest,
dass mein Anschlusszug von Gleis 6 nicht Gleis 8 fahren sollte –
und zwar genau jetzt!
Dem
konnte ich dann auch hinterherwinken und dankte insgeheim der
Deutschen Bahn für ihre Bemühungen um Kundenzufriedenheit.
Mit
Wut im Bauch näherte ich mich dem Servicepoint, wo ich ernsthaft in
Erwägung zog mir lauthals, wenn nötig auch mithilfe von
Schimpfwörtern Luft zu machen.
Das
tat dann aber schon der Kerl vor mir, der Satzfragmente wie „Um elf
geht’s erst weiter? Wollt ihr mich verarschen?“, „Und solange
steh ich hier blöde rum oder was?“ und nicht zuletzt auch „Mit
euch fahr ich nie wieder, das versprech' ich!“ zum besten gab.
Damit kam ich mir irgendwie blöd vor, wenn ich das ganze nochmal
wiederholen würde, also fragte ich einfach nur ob 23:03 Uhr wirklich
die einzig nächste Verbindung Richtung Lübeck wäre, erhielt eine
zustimmende Antwort und trollte mich.
Der
bahnhofsinterne Mcdonalds bot sich zum Verweilen an und sorgte
innerhalb der nächsten halben Stunde mit allerlei menschlichen
Kuriositäten für Unterhaltung. Einen Smoothie schlürfend und das
neue Album von den Chemical Brothers hörend ließ es sich ganz gut
aushalten. Draußen ruhte eine schwarze Familie auf den Sitzbänken,
Vater und Kind eng umschlungen, die Mutter lehnte halb und lag halb
auf einem Einkaufswagen voller Tüten. Ihr Schnarchen hörte man noch
drinnen.
Endlich
kurz vor Mitternacht in Lübeck angekommen erwartete mich hier nur
noch eine unspektakuläre Busfahrt durch die Stadt, die Formalitäten
im Hotel und schlussendlich konnte ich endlich viertel vor eins ins
Bett fallen.
Der
Wecker klingelte halb sieben und es war genauso ätzend wie man es
sich vorstellt.
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