9. September 2015

40 / Skaterkids – unvorhergesehen – Camp David – Kundenzufriedenheit - ätzend


 Ich finde diese riesigen Kopfhörer die jetzt mehr und mehr in der Öffentlichkeit getragen werden einfach affig. Aus akustischer Sicht machen sie überhaupt keinen Sinn, außer man will seine Umgebung beschallen und erhofft sich dadurch vielleicht etwas Anerkennung ob der Musik die man hört und unhandlich sind sie außerdem. Schon mal versucht so einen Kopfhörer in die Jackentasche zu stopfen?  

Jedenfalls hatte ich meine kleinen schwarzen Stöpsel im Ohr und konnte dadurch die Jungs und Mädels zwischen 14-15 Jahren, die sich ein halbes Wagenabteil vor mir auf zwei Vierersitzen verteilt hatten zu gut hören. Im Nachhinein wären riesige Geräuschdämmende Kopfhörer doch keine schlechte Idee gewesen. So mußte Machine Head mit dem Gekreische und Gejohle wetteifern. Die Achterbande sah nach einer Mischung aus Skaterkids und Prinzessinnen aus, keiner alt genug für Schamhaare aber alle alt genug für Pornographie und Beziehungsprobleme. Wenn man der Sensationspresse in Bezug auf die heutige Jugend glauben konnte. Meine Hand fand das Handy in meiner Tasche, den darauf befindlichen Lautstärkeregler und ansteigende Gitarrenriffs spülten das Kindergeschrei davon. 
Vorerst.

Ich war auf dem Weg zum Hauptbahnhof, hatte eine dicke Tasche dabei und wollte nach Lübeck. Hatte dort was geschäftliches zu tun. Während ich noch nach dem ausklingen von Halo nach dem nächsten Ohrenschmaus suchte näherte sich eines der Kinder aus dem Reigen und hielt sein Handy ans Ohr gepresst. Der Gesichtsausdruck hatte sich irgendwo zwischen Angst und Trotz eingependelt, genug, um meine Neugier zu wecken. Ich schaltete die Musik aus.
Ich kann da nichts für Mama. Der behinderte Bademeister hat voll den Schatten. Ich bin die Rutsche nur einmal rückwärts runter. “
Interessante Gesprächsentwicklung. Unvorhergesehen.
Nein, ich hab gar nichts gemacht. Der Hurensohn hat kein Leben, ich schwör's dir. Der wollte mich nur ficken“
Er lauschte, verdrehte die Augen und hob die Stimme.
Nein Mama, vergiss es. Der Spasti hat mir drei Wochen gegeben.“
Wieder wurde zugehört.
Bis zum Ende der Ferien! Ich bin am Arsch.“
Ich versuchte noch zusammenzureimen worum es genau ging.
Kannst du nicht mit ihm reden Mama? Die können mich doch nicht einfach so sperren, wegen so einem Scheiß.“
Während er weiter lauschte rutschte sein Kopf immer tiefer zwischen die Schultern. Eine blecherne Stimme drang aus dem Handy. Sie klang nicht erfreut.
Okay Mama. Ja Mama. Ja Mama. JA MAMA! Bin in 20 Minuten zuhause.“
Er legte auf, ballte die Faust um sein Handy und hieb einmal ziellos in die Luft.
Alles Spastis!“ zischte er und ging zu seinen Freunden zurück.

Am Hauptbahnhof angekommen revidierte ich meine Schätzung, dass ich noch 20 Minuten Zeit bis zur Abfahrt hatte und korrigierte sie auf eineinhalb Stunden rauf.
Mein Zug fuhr um 19:24 Uhr.
Besser gesagt er sollte um 19:24 Uhr fahren, fiel aber leider aus.
Der nächste war für 20:16 geplant.
Also ging ich runter auf Gleis 8, setzte mich in eine Ecke, packte Stulle und Buch aus und versuchte die nächsten eineinhalb Stunden irgendwie rumzubringen. Mit der Nase im Buch konnte ich die mich umspülenden Menschen ganz gut ignorieren, nur wenige stachen aus der Masse heraus.
Da war die Frau am gegenüberliegenden Gleis, deren Zug 5 Minuten Verspätung hatte und die deswegen wie ein ungeduldiges Kind immer wieder auf die Uhr sah, aufstampfte, scharf durch die Zähne ausatmete, auf den Griff ihres Rollkoffers schlug und dabei ununterbrochen vor sich hin fluchte. Nicht das das ganze in irgendeiner Weise die Einfahrt beschleunigte oder so.
Oder der Mann, der eine halbe Stunde lang durchgehend telefonierte und dabei immer dieselben zehn Meter Wegstrecke vor mir auf- und abschritt.
Oder die typische Berliner Familie – er groß, muskelbepackt, tätowiert, glatzköpfig und in Camp David gekleidet, sie übergewichtig, mit mehrfarbiger Kurzhaarfrisur in Leggins und Glitzertop, der Sohn mit steinerner Miene auf sein Handy starrend und die Mutter mit lauter, kratziger Stimme, die die Gruppe aller zehn Minuten Richtung Raucherquadrat verließ.

Im Zug erfuhr ich dann auch, dass mein geplanter Umstieg hinfällig war, ich stattdessen über Hamburg fahren sollte. Gut, es gibt schlimmeres als über Hamburg zu fahren.
Die Köllnerin vor mir zum Beispiel, die ihre Handtasche im knallvollen Zug neben sich auf den Fenstersitz gepackt hatte, auf die Anfrage „Ist da noch frei?“ eines älteren Herren mit einem charmanten „Wenn's sein muss.“ reagierte, ihre Tasche hob und sich aus dem Sitz manövrierte. Als er anbot auch am Gang sitzen zu können erwiderte sie nur „Jetzt machen sie mal keine Hektik!“ in einem Tonfall, der die Leute im Umkreis von drei Sitzreihen zusammenzucken lies. Herzallerliebst.

In Hamburg, es war inzwischen kurz vor 22 Uhr, hoffte ich auf den versprochenen Anschlusszug, der aber kein Interesse hatte zu warten. Wurde so jedenfalls im einfahrenden Zug durchgesagt. Der nächste würde dann kurz nach 23 Uhr fahren.
So weit, so beschissen.
Wie erwartet war dann auch das Gleis 8, von dem aus der Zug Richtung Lübeck starten sollte, verlassen. Niedergeschlagen richtete ich meine Schritte zur Anzeigetafel, stellte dort mit Schrecken fest, dass mein Anschlusszug von Gleis 6 nicht Gleis 8 fahren sollte – und zwar genau jetzt!
Dem konnte ich dann auch hinterherwinken und dankte insgeheim der Deutschen Bahn für ihre Bemühungen um Kundenzufriedenheit.
Mit Wut im Bauch näherte ich mich dem Servicepoint, wo ich ernsthaft in Erwägung zog mir lauthals, wenn nötig auch mithilfe von Schimpfwörtern Luft zu machen.
Das tat dann aber schon der Kerl vor mir, der Satzfragmente wie „Um elf geht’s erst weiter? Wollt ihr mich verarschen?“, „Und solange steh ich hier blöde rum oder was?“ und nicht zuletzt auch „Mit euch fahr ich nie wieder, das versprech' ich!“ zum besten gab. Damit kam ich mir irgendwie blöd vor, wenn ich das ganze nochmal wiederholen würde, also fragte ich einfach nur ob 23:03 Uhr wirklich die einzig nächste Verbindung Richtung Lübeck wäre, erhielt eine zustimmende Antwort und trollte mich.

Der bahnhofsinterne Mcdonalds bot sich zum Verweilen an und sorgte innerhalb der nächsten halben Stunde mit allerlei menschlichen Kuriositäten für Unterhaltung. Einen Smoothie schlürfend und das neue Album von den Chemical Brothers hörend ließ es sich ganz gut aushalten. Draußen ruhte eine schwarze Familie auf den Sitzbänken, Vater und Kind eng umschlungen, die Mutter lehnte halb und lag halb auf einem Einkaufswagen voller Tüten. Ihr Schnarchen hörte man noch drinnen.

Endlich kurz vor Mitternacht in Lübeck angekommen erwartete mich hier nur noch eine unspektakuläre Busfahrt durch die Stadt, die Formalitäten im Hotel und schlussendlich konnte ich endlich viertel vor eins ins Bett fallen.
Der Wecker klingelte halb sieben und es war genauso ätzend wie man es sich vorstellt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen