Der
Türsteher vorm Sage Club nahm die Anwesenheit von Horst in der
Schlange nicht so leicht wie wir gehofft hatten.
"Is
dasn Pferd?" fragte er und hob die buschigen Augenbrauen während
sein fleischige Arm mit der ausgestreckten Hand auf Horst zeigte. Der
war heute quasi inkognito hier, hatte also seine Santiago Decke
Zuhause gelassen. Die musste eh mal gewaschen werden.
"Nee
ich bin ein Nashorn auf Diät." antwortete Horst und schnaubte.
"Können wir jetzt rein oder nicht, Meister?"
Der
Türsteher verlor sämtliche Farbe im Gesicht und die Fähigkeit
seinen Unterkiefer an den Oberkiefer zu pressen. Im ersten Moment
fragte ich mich erschrocken ob er einen Herzinfarkt oder so was
hatte, dann fiel mir wieder auf, dass es nicht für jeden Menschen
normal war einem sprechenden Pferd zu begegnen. Diesem Herren, dessen
wuschelige Pferdeschwanz, breite Statur und das Unterschenkeltattoo,
dass unter der kurzen Hose hervorschaute ihn als Samoaner
auszeichnete passierte dass offenbar zum ersten mal und er reagierte
gar nicht gut darauf.
Nachdem
ihn seine Gesichtsfarbe verlassen hatte, folgte dem sein Atem, denn
er schnappte mehrfach krampfhaft nach Luft. Sein Blick war starr auf
Horst gerichtet, der vergnügt mit den Ohren wackelte. Leute mit
seiner Anwesenheit zu erschrecken machte ihm einfach zu viel Spaß.
Offenbar hatte Horst, wie der Großteil der DSDS Kandidaten nicht den
Unterschied zwischen positiver und negativer Aufmerksamkeit
verstanden.
"Oh
Scheiße!"
Der
Türsteher tastete mit der linken Hand an seiner Brust herum und
jagte mir einen Heidenschreck ein. Sollte er vielleicht doch einen
Herzinfarkt haben? Ich sah Horst verzweifelt an, der ob des blassen,
atemlosen an sich herumtastenden Muskelberges vor ihm wenigsten die
Ohren anlegte.
Es
war nur falscher Alarm, die zitternde Hand wanderte von der Brust aus
weiter nach oben zum linken Ohr, fummelte dort herum und er stotterte
schlieslich:
"Sadi
hier, ich mach jetzt meine Pause. Komm mal jemand zur Tür, Ablöse."
Damit
drehte er sich um, ging ohne ein weiteres Wort nach drinnen und lies
uns stehen.
Horst
grinste mich entschuldigend an.
"Alter,
du und deine große Klappe."
Wir
mussten nur ein paar Minuten warten, dann kam eine anderer Muskelberg
nach draußen, sah uns mit unbeweglichem Gesicht an, kassierte ab und
lies uns rein. Horst hielt die Klappe und der Türsteher wirkte als
hätte er in seinem Leben schon alles erlebt.
Zweimal.
Drinnen
war er diesmal nicht ganz so voll aber trotzdem genau so laut wie
beim letzten Mal. Ich hatte Horst teilweise vorgewarnt, so dass er
direkt den Drachenkopf-Flammenwerfer über der Tanzfläche sehen
wollte. Der lies auch nicht lange auf einen Feuerstrahl warten und
fand Horsts Gefallen. Wir gingen zur Bar, das Kellergeschoss war für
Horst wegen seiner Hufe nicht betretbar. Er sagte zwar immer er
könnte Treppen steigen, aber er wollte nicht. Offenbar jedenfalls
nicht wenn es draußen nicht so kalt war, dass er zu erfrieren
drohte. Horst wurde von einer Menge Leute begafft, was mir nochmal
vor Augen führte wie sehr ich mich an seinen Anblick gewöhnt hätte.
Die
Bardame nickte mir fragend zu und ich bestellte ein Bier für mich.
"Und
was bekommt dein Freund?" fragte sie und lachte.
"Auch
eins." sagte Horst und ihr blieb das Lachen wortwörtlich im
Halse stecken.
"Ich
zahl." brüllte ich über den Lärm als die zwei Bier vor uns
standen. Horst gab keine Wiederworte, schnappte sich nur sein Bier
mit den Lippen und warf den Kopf zurück. Im Nu war die halbe Flasche
leer. Wir blieben an der Bar stehen, nuckelten an unseren Bieren,
zwischendurch ging ich ab und zu tanzen. Irgendwann als ich von der
Tanzfläche zurückkam stand Medusa neben Horst und beide lachten.
Ich
begrüßte sie.
"Horst
kennst du ja schon."
"Ja
haben uns gerade kennengelernt. Angel hat mir ja schon von ihm
erzählt, aber ihn so zu sehen – WOW!"
Horst
wedelte vergnügt mit den Ohren und hielt ausnahmsweise mal den Rand.
"Ja
der kleine Racker ist ein unendlicher Quell der Freude."
"Und
was hältst du vom Sage?" fragte Medusa Horst.
"Cooler
Club, der Flammenwerfer ist..." Horst verstummte und riss die
Augen auf.
"Verdammt
ich hab den Pool ganz vergessen. Den muss ich mir noch ansehen.
Los
los los!"
"Mach
mal ein Foto." Horst grinste sein bisher breitestes Grinsen. Er
stand bis zum Hals im Pool, war an der flachen Seite reingelaufen und
hatte seinen Kopf neben dem "Nicht vom Beckenrand springen!"
Schriftzug gelegt. Um den Pool herum wurde getuschelt und mit den
Fingern auf ihn gezeigt. Was ihm aber nichts ausmachte. Medusa lief
derweilen vor Lachen rot an. Seufzend holte ich mein Handy heraus und
machte ein Foto von seiner Hochwürden neben dem Schriftzug.
"Wie
ist das Wasser?" fragte ich. Ich hatte Gänsehaut unter dem
Shirt.
"Scheiße
kalt, aber das ist es wert." Horst hob den Kopf vom Rand und
stampfte durch den Pool zurück zur flachen Seite. Dort kletterte er
vorsichtig heraus, wobei er immer wieder "Entschuldigung"
vor sich hin murmelte und vergeblich versuchte niemanden auf die Füße
zu treten.
"Zeig
mal!"
Ein
klatschnasser, dampfender Horst stellte sich neben Medusa und mich,
schaute mir tropfend über die Schulter und wieherte leise, als er
das Foto sah.
"Genial.
Das lad' ich bei Facebook hoch!"
Eine
Bewegung im Augenwinkel und gepresstes Schnauben deutete darauf hin,
dass Medusa vor Lachen zusammengebrochen war.
Nachdem
Medusa wieder einigermaßen laufen konnte hatten wir uns in den
hinteren Teil vom Sage zurückgezogen, damit Horst sich etwas
aufwärmen konnte. Medusa hatte uns mit Cocktails versorgt an dem
Horst genüsslich saugte.
"Was
liegtn da rum?"
Horst
deutete mit einem Kopfnicken in eine Ecke. Dort lag eine kleine weiße
Plastikflasche. Ich stand auf, rollte sie mit dem Fuß herum damit
ich das Label lesen konnte.
"Sagrotan."
sagte ich bei meiner Rückkehr und lies mich wieder in den Sitz
fallen. Die Sitze hier hinten waren echt bequem. Ganz in der hinteren
Ecke lagen auch so eine Art Matratzen, aber die waren schon mit
Pärchen besetzt. Was ich nicht so schlimm fand, die Stühle waren
mit gerade recht.
"Sagrotan?"
fragte Horst und legte die Ohren an.
Ich
lächelte, nickte und wippte in meinem Stuhl vor und zurück. Medusa
saß neben mir und grinste ebenfalls um ihren Strohhalm herum. Horst
sah erst mich an, dann sie, dann wieder mich.
"Sagrotan?"
wiederholte er.
"Sprühflasche."
sagte ich und nickte weiter.
"Sprühflasche?"
"Japp."
"Was?"
Horst schüttelte den Kopf.
"Hab
ich das gar nicht erwähnt?" Ich war zuckersüß.
"Erwähnt?
Nein, was denn?"
"Das
hier ist tagsüber ein Swingerclub."
"Was?"
Diesmal
nickten Medusa und ich unisono. Sogar unsere Grinsen war gleich.
"Ihr
verarscht mich doch?"
"Nope.
Schau dich mal um." Horst warf einen Blick in die Runde.
"Ja?"
"Ich
hab mich beim ersten Mal schon über die Bilder gewundert. Als mir
dann Angel das von dem Swingerclub erklärt hat, passte es natürlich
wie die Faust aufs Auge."
Horst
sah sich ein Bild eines Drachens zu unserer linken an. Der schob sich
vom linken Bildrand nach rechts rüber, wo ein Krieger bereit stand.
Wenn man genauer hinsah erkannte man, dass der Krieger eine Kriegerin
war, eine Rüstung trug, wie ihn japanische Spielehersteller gerne
ihren Heldinnen auf den Leib programmieren und die Zunge des Drachen
irgendwo zwischen ihren Beinen endete.
Horst
schüttelte den kopf.
"Es
hatte schon seinen Grund, warum ich mich draußen am Pool nicht auf
die Liegeflächen setzen wollte." sagte ich leise.
Horst
zuckte richtiggehend zusammen.
"Ich
war IM Pool drin!"
Medusa
lachte laut auf.
"Keine
Sorge das Wasser wird täglich erneuert und ist gechlort."
Horst
drehte sich zu der Sagrotanflasche um.
"Und
die Flasche..."
"Dient
der Nachreinigung." beendete ich den Satz. "Hat wohl einer
liegen gelassen."
Horst
zog an seinem Strohhalm, merkte gar nicht das sein Glas schon leer
war.
"Krass."
War sein abschließender Kommentar.
Aber
so ganz hatte er wohl doch nicht damit abschließen können.
"Könntest
du das?" fragte mich Horst auf dem Heimweg. Er trabte neben mir
auf dem Fußweg her, ich radelte gemütlich mit dem Fahrrad. Angel
und Violetta hatten heute Abend leider keine Zeit gehabt.
"Könnte
ich was?"
"Na
diese Swinger Sache. Könntest du das?"
Ich
überlegte kurz.
"Glaube
nicht. Ich würde mich glaube ich nackt unter all den Leute unwohl
fühlen."
Horst
blieb stehen.
"Wieso?"
"Was
wieso? Weil es komisch ist vor wildfremden Leute nackt zu sein."
"Für
mich nicht."
Mir
fiel das erste Mal richtig auf, dass Horst ja eigentlich immer nackt
war.
"Okay,
Punkt für dich. Als Pferd mag das ja normal sein, aber für Menschen
ist es komisch."
"Warum?"
"Ich
weiß nicht, hat etwas mit Scham zu tun."
"Wofür
schämst du dich denn?"
Ich
seufzte.
"Nicht
ich Horst, allgemein hat es etwas mit Scham zu tun. Menschen haben
ein Problem damit sich gegenseitig nackt zu sehen."
"Aber
ihr seid doch so oft fast nackt. Im Sommer sieht man tausende Mädels
die viel Haut zeigen und Jungs ohne Shirt. Das ist nicht komisch?"
"Nein,
dass ist es nicht. Dabei zeigen die eben nur ihren Oberkörper oder
die Beine oder so. Nicht den Busen oder die Genitalien. Da wird es
dann komisch."
"Wegen
dem Penisneid."
"Was?"
Jetzt war ich verwirrt.
"Der
Penisneid. Ihr Menschen vergleicht immer eure Penisse. Oder den
Busen. Oder den Arsch."
"Quatsch."
"Klar,
andauernd."
"Na
vielleicht hat das für manche damit was zu tun. Aber nicht für
mich, ich hab einen genügend großen Penis."
"Gut
für dich."
"Ja!"
Wir
setzen uns wieder in Bewegung aber ich hatte das Gefühl noch etwas
sagen zu müssen.
"Vielleicht
hat bei manchen Menschen die falsche Erwartungshaltung etwas damit zu
tun, dass sie sich unsicher fühlen, dass kann schon sein."
Horst
nickte.
"Und
vielleicht fühlen sich manche dadurch unwohl mit der Größe ihrer
Brüste oder dem Umfang ihres Bauches und so.."
"Oder
eben der Penisgröße."
Ich
blieb stehen und warf die Hände in die Luft.
"Himmel
Herrgott nochmal, es geht nicht immer nur im den Penis Horst!"
"Ist
ja gut."
"Ich
meine ich kann mir vorstellen, dass du dich auch unwohl fühlen
würdest, wenn bei so einer Swingerparty eine Typ neben dir steht der
eine Riesenteil hat, oder? Würde dich das nicht verunsichern."
"Keine
Ahnung. Ich kann meinen einziehen, also ist bei uns Pferden die
Penisgröße reine Spekulation. Darum habe ich auch glaube ich im
Gegensatz zu euch Menschen kein Problem mit dem Nacktsein."
"Du
kannst was?"
"Naja
wenn es dann zur Sache geht, kommt natürlich die Katze aus dem Sack,
bildlich gesprochen, aber so im Alltag ist das meine kleines
Geheimnis."
Ich
warf einen vorsichtigen Blick unterhalb Horsts Bauch. Nix zu sehen.
"Ach
Scheiße!"
Ich
ging in die Knie und sah genauer hin. Da war nur eine kleine
Fellbeule.
"Ich
darf ja wohl bitten!" Horst klang entrüstet aber als ich wieder
hochkam grinste er breit.
"Der
versteckt sich Irgendwo da drin?"
"Klar.
Willst du mal sehen?"
Ich
hob die Hände.
"Neinneinnein,
danke aber lass mal."
Horst
wieherte.
"War
nur ein Scherz. als ob ich dir meinen freiwillig zeigen würde.
Würdest du ja auch nicht tun oder?"
"Auf
keinen Fall!"
"Dachte
ich mir."
"Versteckt."
murmelte ich vor mich hin und setzte mich wieder in Bewegung.
"Kein
Wunder dass ihr Pferde so ausgeglichen seit."
Horst
zeigte seine Zähne und wackelte mit den Ohren.
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