Der Freitag im Duncker startete eher gemächlich. Die Anzahl der Leute beim reinkommen war mit beiden Händen leicht abzuzählen, genauer gesagt unterhalb des zweistelligen Bereiches. Das änderte sich auch erst ab 2 Uhr, dann aber schlagartig. Die Nacht selber wurde durch einen Kurzbesuch von Angel unterbrochen.
"Wo
ist denn Horst?" fragte sie kaum dass wir uns begrüßt hatte,
"Zuhause.
Der bekommt Besuch von außerhalb." erwiderte ich.
"Achso."
Angel wirkte gekickt. Ich konnte es ihr nachfühlen, war es doch auch
alles andere als schmeichelhaft für mein Ego von einem Pferd sozial
übertrumpft zu werden. Ein bisschen wie Bruce Wayne auf einer Party
zu sein, auf der alle auf Batman warten.
Guter
Mann das!
"Kommst
du mit raus?" fragte Angel eine Weile später und gestikulierte
eine Raucherpause an. Ich winkte dankend ab. Draußen war noch
gefährliches Gebiet. Zu viele böse Erinnerungen. oder besser gesagt
gute Erinnerungen, die aber eigentlich böse Erinnerungen waren. Die
Art von Erinnerungen, die in den Ecken des Gehirn lauern und mich
immer dann anspringen, wenn ich nicht damit rechne. Morgens unter der
Dusche, gerade brennt noch das Shampoo in meinem Augen und Zack habe
ich wieder den sanften, fordernden Druck ihrer Lippen auf meinen und
den süßen Geschmack ihrer rosa Zunge im Mund.
Gott,
ich wünschte ich könnte das abstellen.
Irgendwann
gegen drei, ich kam gerade vom Klo, dass ich inzwischen auch nur noch
mit gemischten Gefühlen betrete hatten sich drei Satyrn im Club
eingefunden. Satyrn sind eine der schlimmsten Aufreißer überhaupt.
Sie tragen meiste keine Hosen, nur Oberbekleidung und auch die drei
bildeten da keine Ausnahme. Zwei davon waren groß und breit, der
dritte groß und schmal und alle trugen sie enganliegende Shirts, die
ihre Figur betonten. Das Satyrn keine Hosen tragen hat angeblich
traditionelle Gründe. Und technisch gesehen müssen sie auch keine
tragen, immerhin haben sie Ziegenbeine, einen Ziegenschwanz und sind
bis zum Bauchnabel mit dickem braunem oder schwarzem Fell überzogen.
Innerhalb dieser Fellsammlung versteckt sich eine Art vorstehende
Felltasche, ähnlich wie bei Horst und diese wiederum enthält den
Penis eines Satyr. Damit haben sie also Nacktheit gegenüber dieselbe
Vorteile wie Horst.
„Was
genau soll denn der Scheiß da unten?“ fragte Angel mich und meinte
die Satyrn.
„Schon
mal was von einem Codpiece gehört?“
„Einem
was?“
„Ein
Codpiece, einen Schamkapsel?“
Angel
schüttelte den Kopf.
„Gliedschirm?
Braguette? Latz?“
„Wie
in Hosenlatz? Was an einer Lederhose dran ist?“
Ich
rollte die Augen.
„Nein,
nicht Hosenlatz. Egal. Es gab Im 14. Jahrhundert die Modeerscheinung,
sich einen Beutel an die Hose zu nähen. Das nannte sich Codpiece und
war auf die damalige Verbreitung der Satyrn in Europa
zurückzuführen.“
„Aha.“
Angel wirkte wenig fasziniert, also holte ich etwas weiter aus.
„Anders
als die damaligen Edelleute waren und sind Satyrn sehr direkt wenn es
um die Aufmerksamkeit von Frauen geht und nicht gerade zimperlich
wenn dann mal die Kleider flogen beziehungsweise fliegen.“
„Und
das da...?“
„Ist
nichts anderes als das natürliche Äquivalent zu einem Codpiece. Nur
eben etwas aufgemotzt.“
„Nicht
zu fassen. Und das hat funktioniert?“
„Naja
im 14. Jahrhundert richtig gut, aber gegen Ende des 18. Jahrhundert
war es dann ziemlich vorbei mit der sexuellen Umtriebigkeit der
Satyrn nachdem der letzte bekannte Satyr so einen unrühmliches Ende
hatte.“
„Und
wer war das?“
„Casanova.“
Zu
Zeit ist es unter Satyrn in Mode den Fellbeutel zu bleichen und wem
das noch nicht reich zu färben. Der eine der großen Satyrn hatte
seinen nur weiß gebleicht, was ihn aber deutlich von seinem
ansonsten schwarzen Fell abhob, der andere hatte es sich nicht nehmen
lassen seinen hellblau zu färben, wodurch einen der Sack aus dem
braunen Fell heraus quasi ansprang. Der schlanke trug seinen rot.
Kein Satyr ist im klassischen Sinne schön, auch wenn sie alle
menschenähnliche Gesichtszüge haben sind es ein paar Kleinigkeiten
die abweichen.
Ihre
Zähne sind etwas zu groß und stehen oft vor.
Ihre
Augen stehen etwas zu weit auseinander und sind ausnahmslos von einem
schlammigen braun.
Und
letztendlich haben alle Satyrn Hörner. Ein paar tragen sie kurz
geraspelt aber die meisten empfinden das als unmännlich und lassen
sie wild wachsen.
Ach
ja und noch etwas macht Satyrn einzigartig - es gibt nur männliche
Exemplare.
"Ich
muss mich mal kurz zu euch stellen. Redet mit mir!"
Es
war keine zwanzig Minuten später, ich unterhielt mich gerade mit
Jacob als uns das Mädchen von links ansprach. Wir beide sahen sie
an, entdeckten den Satyr hinter ihr und verstanden. Mir war schon
vorher aufgefallen, dass er sich ihr tanzend näherte, was einerseits
noch nie in der Geschichte der Menschheit funktioniert hat und
zweitens gerade die Basis von Jacobs und meinem Gespräch war.
"Hat
das schon jemals funktioniert?" sinnierte er gerade und sah sie
dabei fragend an.
"Nicht
bei mir jedenfalls." Sie sah über die Schulter, beobachtete
kurz wie der Satyr sich tanzend auf die Mitte der Tanzfläche und den
dort befindlichen Mädels zubewegte und schüttelte den Kopf.
"Ist
das sein ernst?"
Angel
verabschiedete sich eine halbe Stunde später. Sie hatte sich
unglaublicherweise für den Samstag was vorgenommen. Ich konnte mich
schon gar nicht mehr richtig daran erinnern wie das war Dinge zu
planen.
Außerdem
hatte es einen kleinen Zwischenfall mit dem schlanken Satyr gegeben.
Der hatte eindeutige Zeichen übersehen oder einfach ignoriert und
war schließlich nach dem der klatschenden Hall einer Ohrfeige
verklungen war von der Tanzfläche getorkelt.
Angel
konnte so wenig zimperlich wie ein Satyr sein.
Als
ich mein Fahrrad in den Innenhof schob empfing mich ein lautes
Brummen von oberhalb der Tür. Es war noch dunkel und so war die
Ursache schwer auszumachen, bis mir auffiel, dass die Beleuchtung zu
wünschen übrig lies und mir klar wurde, dass mal wieder der
Bewegungsmelder ausgefallen war. Direkt danach bemerkte ich den
Gestank. Es roch scharf und irgendwie sauer. Leise fluchend um Horst
nicht zu wecken, falls er in seiner Ecke schlief tastete ich mich zu
einem Fahrradständer durch, als der Bewegungsmelder vom linken
Hauseingang reagierte und mir etwas Überblick anbot. Gleichzeitig
ertönte ein Knurren, dass mich auf der Stelle erstarren lies. Das
war keine bewusste Reaktion einfach etwas direkt aus dem Präkortex.
Das
Knurren kam aus Horsts Ecke und die beiden roten Augen die mich von
dort anstarrten sahen so gar nicht aus als ob sie zu ihm gehören
würden. Leider reichte das Licht nicht bis zu Ecke, ich konnte also
nur raten zu was oder wem diese Augen gehörten.
"Hallo?"
flüsterte ich leise. Das Knurren schwoll an. Ich schluckte trocken
und versuchte nicht zu atmen. Das Knurren verstummte.
Gerade
als ich mich dazu durchgerungen hatte nach Horst zu rufen ging das
Licht aus. Mir stockte der Atem als sich mir etwas leise näherte.
Ich sah nur die beiden rot glühenden Augen näher kommen und vor mir
halten. Die Augen waren knapp unterhalb meines Bauchnabels, heißer
Atem umwehte meine nackten Beine, ich trug kurze Hosen wie immer im
Duncker.
In
der Ecke hinter den roten Augen ertönte ein Schniefen, dann ein
Schmatzen.
„Jack?“
Das hörte sich nach Horst an.
Ich
nahm allen Mut zusammen.
„Horst?“
„Frank?
Wie spät ist es?“
„Keine
Ahnung.“
Horst
brummte und verstummte. Ich sah wieder nach unten und folgte mit
weiter wachsendem Entsetzen den Augen als die sich anfingen nach oben
zu bewegen. Mir war bisher nie bewusst gewesen, dass man so entsetzt
sein kann.
Ich
war wortwörtlich starr vor Angst.
„Horst?“
Meine Stimme kam nur noch als gequetschtes Quieken heraus.
„Hmmm?“
kam es aus seiner Ecke.
„Hier
ist jemand.“
„Was...?“
„Hier!
Ist! Jemand!“
Eine
Weile herrschte Stille in der ich hoffte, dass Horst seiner
verfluchten Arsch hochbekommen würde.
„Ist
das der Kerl von dem du gesprochen hast?“ sagte plötzlich jemand
direkt in mein Gesicht. Sein Atem war heiß und meine Beine waren
sich sogleich sicher, dass sie denselben Atem noch vor wenigen
Augenblicken ertragen hatten.
„Wa...?“
Wenn ich nicht bis zum Hemdkragen voller Angst gewesen wäre hätte
ich vielleicht noch Platz für Wut gehabt, weil Horst so verdammt
verpennt und langsam war.
„Na
der Kerl mit den tausend Problemen von dem du mir erzählt hast.“
Der
Atem stank nach Fleischfresser. Und nach scharfen Zähnen. Ich weiß
dass das Schwachsinn ist aber ich schwöre es war so.
Sein
Atem roch nach scharfen Zähnen.
„Wer
verdammt? Scheiße man sieht ja den Huf vor Augen nicht. Warte mal
ich...“
Das
licht zu meiner linken ging wieder an und ich schrie auf. Vor mir
stand ein Werwolf und grinste mich an. Und ich hatte Recht, es waren
scharfe Zähne.
„Und
woher kennt ihr euch nochmal?“
Ich
saß an Horst gelehnt da, Jack saß mir gegenüber und hatte den Kopf
auf den Pfoten.
„Von
früher. Er wollte mich fressen.“
Jack
lächelte was eine unangenehme Menge an Zähnen zeigte. Ein bisschen
wie bei Igor nur noch erschreckender.
„Dafür
hast du mir ja auch einen ordentlichen Tritt verpaßt.“
„Du
hast ihn getreten?“ Jack richtete sich auf und spreizte das Fell an
seiner linken Seite. Dort konnte man eine Narbe erkennen.
„Genau
hier. Musste im Krankenhaus genäht werden. Wäre Horst nicht
mitgegangen und hätte geschworen dass es ein Unfall war wäre ich
vermutlich verblutet. Oder sie hätten mich eingeschläfert.“
„Alter,
Horst du bist ja ein richtiger Badass!“
Horst
nickte nur bedächtig mit dem Kopf. Seine Augen waren schon wieder
halb zu.Mir fiel gerade etwas auf.
„Moment
mal es ist doch gar nicht Vollmond.“
„Nee
ich bin Vollzeitwerwolf. Straight edge, kein Menschenfassade am Tag.
I am what I am.“
„Und
das geht einfach so? Man kann sich entscheiden dauernd Werwolf zu
sein?“
„Klar,
aber den meisten Werwölfen ist das zu krass. Die Leute erschrecken
sich andauernd wenn sie mich sehen, auch tagsüber.“
„Ja
krass.“ Ich konnte mir noch mal ausmalen wie das wäre.
Ich
sammelte mich und stand auf.
„Okay
Leute ich muss ins Bett. Das war etwas viel Aufregung für mich. Bin
sicherlich zehn Jahre gealtert. Muss gleich mal schauen ob ich schon
weiße Strähnen bekommen habe.“
Jack
grinste mich vergnügt an.
„Und
kannst du das bitte lassen Jack, dass sieht furchtbar aus!“
Er
grinste noch breiter.
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