28. September 2015

42 / rosa Zunge – Codpiece – Ohrfeige - Fleischfresser


Der Freitag im Duncker startete eher gemächlich. Die Anzahl der Leute beim reinkommen war mit beiden Händen leicht abzuzählen, genauer gesagt unterhalb des zweistelligen Bereiches. Das änderte sich auch erst ab 2 Uhr, dann aber schlagartig. Die Nacht selber wurde durch einen Kurzbesuch von Angel unterbrochen.
"Wo ist denn Horst?" fragte sie kaum dass wir uns begrüßt hatte,
"Zuhause. Der bekommt Besuch von außerhalb." erwiderte ich.
"Achso." Angel wirkte gekickt. Ich konnte es ihr nachfühlen, war es doch auch alles andere als schmeichelhaft für mein Ego von einem Pferd sozial übertrumpft zu werden. Ein bisschen wie Bruce Wayne auf einer Party zu sein, auf der alle auf Batman warten.
Zum Glück kann man sich auf den DJ im Duncker verlassen, der unsere Laune schnell mitbekam und zur Aufmunterung "Haribo macht Kinder froh" spielte. Nach getanem auf der Tanzfläche Herumgetobe grinsten Angel und ich ihn in glücklicher Zwietracht an.
Guter Mann das!

"Kommst du mit raus?" fragte Angel eine Weile später und gestikulierte eine Raucherpause an. Ich winkte dankend ab. Draußen war noch gefährliches Gebiet. Zu viele böse Erinnerungen. oder besser gesagt gute Erinnerungen, die aber eigentlich böse Erinnerungen waren. Die Art von Erinnerungen, die in den Ecken des Gehirn lauern und mich immer dann anspringen, wenn ich nicht damit rechne. Morgens unter der Dusche, gerade brennt noch das Shampoo in meinem Augen und Zack habe ich wieder den sanften, fordernden Druck ihrer Lippen auf meinen und den süßen Geschmack ihrer rosa Zunge im Mund.
Gott, ich wünschte ich könnte das abstellen.

Irgendwann gegen drei, ich kam gerade vom Klo, dass ich inzwischen auch nur noch mit gemischten Gefühlen betrete hatten sich drei Satyrn im Club eingefunden. Satyrn sind eine der schlimmsten Aufreißer überhaupt. Sie tragen meiste keine Hosen, nur Oberbekleidung und auch die drei bildeten da keine Ausnahme. Zwei davon waren groß und breit, der dritte groß und schmal und alle trugen sie enganliegende Shirts, die ihre Figur betonten. Das Satyrn keine Hosen tragen hat angeblich traditionelle Gründe. Und technisch gesehen müssen sie auch keine tragen, immerhin haben sie Ziegenbeine, einen Ziegenschwanz und sind bis zum Bauchnabel mit dickem braunem oder schwarzem Fell überzogen. Innerhalb dieser Fellsammlung versteckt sich eine Art vorstehende Felltasche, ähnlich wie bei Horst und diese wiederum enthält den Penis eines Satyr. Damit haben sie also Nacktheit gegenüber dieselbe Vorteile wie Horst.

Was genau soll denn der Scheiß da unten?“ fragte Angel mich und meinte die Satyrn.
Schon mal was von einem Codpiece gehört?“
Einem was?“
Ein Codpiece, einen Schamkapsel?“
Angel schüttelte den Kopf.
Gliedschirm? Braguette? Latz?“
Wie in Hosenlatz? Was an einer Lederhose dran ist?“
Ich rollte die Augen.
Nein, nicht Hosenlatz. Egal. Es gab Im 14. Jahrhundert die Modeerscheinung, sich einen Beutel an die Hose zu nähen. Das nannte sich Codpiece und war auf die damalige Verbreitung der Satyrn in Europa zurückzuführen.“
Aha.“ Angel wirkte wenig fasziniert, also holte ich etwas weiter aus.
Anders als die damaligen Edelleute waren und sind Satyrn sehr direkt wenn es um die Aufmerksamkeit von Frauen geht und nicht gerade zimperlich wenn dann mal die Kleider flogen beziehungsweise fliegen.“
Und das da...?“
Ist nichts anderes als das natürliche Äquivalent zu einem Codpiece. Nur eben etwas aufgemotzt.“
Nicht zu fassen. Und das hat funktioniert?“
Naja im 14. Jahrhundert richtig gut, aber gegen Ende des 18. Jahrhundert war es dann ziemlich vorbei mit der sexuellen Umtriebigkeit der Satyrn nachdem der letzte bekannte Satyr so einen unrühmliches Ende hatte.“
Und wer war das?“
Casanova.“

Zu Zeit ist es unter Satyrn in Mode den Fellbeutel zu bleichen und wem das noch nicht reich zu färben. Der eine der großen Satyrn hatte seinen nur weiß gebleicht, was ihn aber deutlich von seinem ansonsten schwarzen Fell abhob, der andere hatte es sich nicht nehmen lassen seinen hellblau zu färben, wodurch einen der Sack aus dem braunen Fell heraus quasi ansprang. Der schlanke trug seinen rot. Kein Satyr ist im klassischen Sinne schön, auch wenn sie alle menschenähnliche Gesichtszüge haben sind es ein paar Kleinigkeiten die abweichen.
Ihre Zähne sind etwas zu groß und stehen oft vor.
Ihre Augen stehen etwas zu weit auseinander und sind ausnahmslos von einem schlammigen braun.
Und letztendlich haben alle Satyrn Hörner. Ein paar tragen sie kurz geraspelt aber die meisten empfinden das als unmännlich und lassen sie wild wachsen.
Ach ja und noch etwas macht Satyrn einzigartig - es gibt nur männliche Exemplare.

"Ich muss mich mal kurz zu euch stellen. Redet mit mir!"
Es war keine zwanzig Minuten später, ich unterhielt mich gerade mit Jacob als uns das Mädchen von links ansprach. Wir beide sahen sie an, entdeckten den Satyr hinter ihr und verstanden. Mir war schon vorher aufgefallen, dass er sich ihr tanzend näherte, was einerseits noch nie in der Geschichte der Menschheit funktioniert hat und zweitens gerade die Basis von Jacobs und meinem Gespräch war.
"Hat das schon jemals funktioniert?" sinnierte er gerade und sah sie dabei fragend an.
"Nicht bei mir jedenfalls." Sie sah über die Schulter, beobachtete kurz wie der Satyr sich tanzend auf die Mitte der Tanzfläche und den dort befindlichen Mädels zubewegte und schüttelte den Kopf.
"Ist das sein ernst?"

Angel verabschiedete sich eine halbe Stunde später. Sie hatte sich unglaublicherweise für den Samstag was vorgenommen. Ich konnte mich schon gar nicht mehr richtig daran erinnern wie das war Dinge zu planen.
Außerdem hatte es einen kleinen Zwischenfall mit dem schlanken Satyr gegeben. Der hatte eindeutige Zeichen übersehen oder einfach ignoriert und war schließlich nach dem der klatschenden Hall einer Ohrfeige verklungen war von der Tanzfläche getorkelt.
Angel konnte so wenig zimperlich wie ein Satyr sein.

Als ich mein Fahrrad in den Innenhof schob empfing mich ein lautes Brummen von oberhalb der Tür. Es war noch dunkel und so war die Ursache schwer auszumachen, bis mir auffiel, dass die Beleuchtung zu wünschen übrig lies und mir klar wurde, dass mal wieder der Bewegungsmelder ausgefallen war. Direkt danach bemerkte ich den Gestank. Es roch scharf und irgendwie sauer. Leise fluchend um Horst nicht zu wecken, falls er in seiner Ecke schlief tastete ich mich zu einem Fahrradständer durch, als der Bewegungsmelder vom linken Hauseingang reagierte und mir etwas Überblick anbot. Gleichzeitig ertönte ein Knurren, dass mich auf der Stelle erstarren lies. Das war keine bewusste Reaktion einfach etwas direkt aus dem Präkortex.
Das Knurren kam aus Horsts Ecke und die beiden roten Augen die mich von dort anstarrten sahen so gar nicht aus als ob sie zu ihm gehören würden. Leider reichte das Licht nicht bis zu Ecke, ich konnte also nur raten zu was oder wem diese Augen gehörten.
"Hallo?" flüsterte ich leise. Das Knurren schwoll an. Ich schluckte trocken und versuchte nicht zu atmen. Das Knurren verstummte.
Gerade als ich mich dazu durchgerungen hatte nach Horst zu rufen ging das Licht aus. Mir stockte der Atem als sich mir etwas leise näherte. Ich sah nur die beiden rot glühenden Augen näher kommen und vor mir halten. Die Augen waren knapp unterhalb meines Bauchnabels, heißer Atem umwehte meine nackten Beine, ich trug kurze Hosen wie immer im Duncker.
In der Ecke hinter den roten Augen ertönte ein Schniefen, dann ein Schmatzen.
Jack?“ Das hörte sich nach Horst an.
Ich nahm allen Mut zusammen.
Horst?“
Frank? Wie spät ist es?“
Keine Ahnung.“
Horst brummte und verstummte. Ich sah wieder nach unten und folgte mit weiter wachsendem Entsetzen den Augen als die sich anfingen nach oben zu bewegen. Mir war bisher nie bewusst gewesen, dass man so entsetzt sein kann.
Ich war wortwörtlich starr vor Angst.
Horst?“ Meine Stimme kam nur noch als gequetschtes Quieken heraus.
Hmmm?“ kam es aus seiner Ecke.
Hier ist jemand.“
Was...?“
Hier! Ist! Jemand!“
Eine Weile herrschte Stille in der ich hoffte, dass Horst seiner verfluchten Arsch hochbekommen würde.
Ist das der Kerl von dem du gesprochen hast?“ sagte plötzlich jemand direkt in mein Gesicht. Sein Atem war heiß und meine Beine waren sich sogleich sicher, dass sie denselben Atem noch vor wenigen Augenblicken ertragen hatten.
Wa...?“ Wenn ich nicht bis zum Hemdkragen voller Angst gewesen wäre hätte ich vielleicht noch Platz für Wut gehabt, weil Horst so verdammt verpennt und langsam war.
Na der Kerl mit den tausend Problemen von dem du mir erzählt hast.“
Der Atem stank nach Fleischfresser. Und nach scharfen Zähnen. Ich weiß dass das Schwachsinn ist aber ich schwöre es war so.
Sein Atem roch nach scharfen Zähnen.
Wer verdammt? Scheiße man sieht ja den Huf vor Augen nicht. Warte mal ich...“
Das licht zu meiner linken ging wieder an und ich schrie auf. Vor mir stand ein Werwolf und grinste mich an. Und ich hatte Recht, es waren scharfe Zähne.

Und woher kennt ihr euch nochmal?“
Ich saß an Horst gelehnt da, Jack saß mir gegenüber und hatte den Kopf auf den Pfoten.
Von früher. Er wollte mich fressen.“
Jack lächelte was eine unangenehme Menge an Zähnen zeigte. Ein bisschen wie bei Igor nur noch erschreckender.
Dafür hast du mir ja auch einen ordentlichen Tritt verpaßt.“
Du hast ihn getreten?“ Jack richtete sich auf und spreizte das Fell an seiner linken Seite. Dort konnte man eine Narbe erkennen.
Genau hier. Musste im Krankenhaus genäht werden. Wäre Horst nicht mitgegangen und hätte geschworen dass es ein Unfall war wäre ich vermutlich verblutet. Oder sie hätten mich eingeschläfert.“
Alter, Horst du bist ja ein richtiger Badass!“
Horst nickte nur bedächtig mit dem Kopf. Seine Augen waren schon wieder halb zu.Mir fiel gerade etwas auf.
Moment mal es ist doch gar nicht Vollmond.“
Nee ich bin Vollzeitwerwolf. Straight edge, kein Menschenfassade am Tag. I am what I am.“
Und das geht einfach so? Man kann sich entscheiden dauernd Werwolf zu sein?“
Klar, aber den meisten Werwölfen ist das zu krass. Die Leute erschrecken sich andauernd wenn sie mich sehen, auch tagsüber.“
Ja krass.“ Ich konnte mir noch mal ausmalen wie das wäre.
Ich sammelte mich und stand auf.
Okay Leute ich muss ins Bett. Das war etwas viel Aufregung für mich. Bin sicherlich zehn Jahre gealtert. Muss gleich mal schauen ob ich schon weiße Strähnen bekommen habe.“
Jack grinste mich vergnügt an.
Und kannst du das bitte lassen Jack, dass sieht furchtbar aus!“
Er grinste noch breiter.



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